Georg Mayer – in memoriam

Am 4. September ist Prof. Georg Mayer im 90. Lebensjahr verstorben, der mehr als 20 Jahre die Literaturwissenschaft am Salzburger Institut für Slawistik prägte. Mit ihm ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit von uns gegangen, ein Mann, der als Wissenschaftler, als Intellektueller und als Mensch beindrucken konnte. Als Georg Mayer als junger Akademischer Rat am Beginn der 1970er Jahre von der Universität Bochum an die Universität Salzburg berufen wurde, brachen im wahrsten Sinn des Wortes neue Zeiten für die Salzburger Slawistik an. Bislang war dieses erst wenige Jahre alte Institut traditionell orientiert gewesen – historische Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte. Georg Mayer brachte die Literaturwissenschaft als eine moderne, synchrone und methodologisch reflektierte Disziplin mit – und die Studierenden, aber auch manche Kollegen staunten. Er war einer der ersten Slawisten in Österreich, der solches tat – kaum an einem anderen Institut wurde um diese Zeit die moderne slawistische Literaturwissenschaft und zugleich mit ihr die moderne russische Literatur gelehrt. Georg Mayer war wohl auch einer der ersten, der sich mit der neuesten russischen Literatur beschäftigte und dazu auf die Zeitschriften zurückgriff, nicht erst wartete, bis dass ein Text in Buchform erschienen war. In späteren Jahren sollte er zum Herausgeber eines Almanachs werden, der nonkonformistische Texte, die in der Sowjetunion nicht erscheinen konnten, einer internationalen Leserschaft zugänglich machte.

Literaturwissenschaft ist Buchwissenschaft, und Bücher findet man in Bibliotheken. Georg Mayer ist es zu verdanken, dass die Bibliothek des Salzburger Instituts eine der am besten ausgestatteten Fachbibliotheken nicht nur in Österreich ist, und das, obwohl sie relativ jung ist. Prof. Mayer hatte bei seiner Berufung große Mittel für Bücher rekrutieren können, und nun wurde systematisch angekauft und ausgebaut, auch dank den Angeboten des Münchener Fachbuchhändlers Otto Sagner (auch er weilt schon einige Jahre nicht mehr unter uns), den Georg Mayer aus seiner Zeit als Assistent bei Prof. Holthusen in München gut kannte.

Auch mit seiner Habilitation Zur Morphologie der Vita beschritt Georg Mayer neue Bahnen, indem er Vladimir Propps Methode der Untersuchung des Zaubermärchens auf Bereiche ost- und südslawischer Mönchsviten übertrug und so strukturalistische Textanalyse mit Gattungsgeschichte verband. Auch als Übersetzer moderner literaturwissenschaftlicher Positionen machte er sich einen Namen, als er Boris Uspenskijs Poetik der Komposition ins Deutsche übertrug.

Das Interesse für neue Ansätze in der Literatur- und Kunstwissenschaft führte Georg Mayer zu neuen theoretischen und methodologischen Disziplinen, er blieb nicht im Strukturalismus stecken (um es vereinfachend auszudrücken), schon ab den 1980er Jahren war es die Semiotik, der sein Interesse galt, die er seinen Studierenden vermittelte und deren Potential er zusammen mit anderen Kollegen in der Salzburger Gesellschaft für Semiotik auslotete. Die Semiotik half auch die Brücke zu einer anderen Disziplin zu schlagen, die ab den 1990er Jahren am Salzburger Institut für Slawistik gepflegt wurde: der Filmphilologie, verstanden als Untersuchung der Beziehungen zwischen Literatur und Film, vor allem anhand von Literaturverfilmungen. Nun wurde eine große Videothek aufgebaut, um das nötige Material für einschlägige Untersuchungen zur Hand zu haben, was damals, als es noch keine digitalisierten Filme im Internet gab, einen beträchtlichen Aufwand darstellte.

Aber auch andere Schwerpunkte sollen erwähnt werden, denen der Verstorbene sein besonderes Augenmerk schenkte – Frauenliteratur, Texte von russischen Autorinnen vom späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die von der traditionellen Literaturgeschichte übersehen wurden und in den etablierten Kanon nicht eingegangen waren. Auch dazu gab es am Institut für Slawistik eigene Forschungsprojekte, die unter der Leitung von Georg Mayer standen.

Spätestens an diesem Punkt muss gesagt werden, dass Georg Mayer es verstand, seine Studierenden, Dissertanten und Assistenten von seinen Ideen zu begeistern und in seine Arbeit einzubinden, ja ihnen auch wichtige Bereiche von Forschungen zu übertragen. Immer wieder erwies er sich als Mentor, der nicht nur Nachwuchskräfte am eigenen Institut, sondern auch außerhalb des Instituts förderte, deren Dissertationen betreute, deren Habilitationen unterstützte und manch einem/einer auch zu einer Stelle verhalf. Das ist auf keine großen Fahnen geschrieben, aber spätestens jetzt soll es gesagt sein, verbunden mit einem großen Wort des Danks aller deren, denen diese Unterstützung zu Teil wurde.

Noch ein Wort, das nicht dem Wissenschaftler, sondern dem Menschen Georg Mayer gilt: er war kein trockener Gelehrter, der nur seine Disziplin kannte. Er interessierte sich lebhaft für Theater und Film, er war ein überaus musischer Mensch und fand immer auch Zeit, selbst Musik zu machen. Er wusste Feste zu feiern, wenn die Zeit dafür gekommen war, und das geschah häufig im Umkreis des Instituts für Slawistik.

Seinen Schülern und Freunden, und allen, die ihn persönlich kannten, wird Georg Mayer immer in Erinnerung bleiben, und das Institut für Slawistik wird sein Andenken in Ehren halten.

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